Buchpräsentation von Freiheit und Anerkennung bei Simone de Beauvoir

von Susanne Moser im Institut Français de Vienne

 

Am 20. November 2002 fand im Palais Callas des Französischen Kulturinstituts in Wien die Buchpräsentation von Susanne Mosers Monographie Freiheit und Anerkennung bei Simone de Beauvoir statt.Diese Veranstaltung wurde zusammen mit dem Institut für Axiologische Forschungen, das dieses Buch mitgefördert hatte, organisiert.

Die Buchpräsentation wurde mit einer Begrüßungsansprache vom Direktor des Kulturinstituts François Laquièze eröffnet. Er drückte seine Freude darüber aus, dass über 80 Anwesende Interesse an einer Untersuchung über Simone de Beauvoir gezeigt haben, und betonte die Tatsache, dass Beauvoirs Werk immer wieder von neuem entdeckt wird. Nach dem einleitenden Wort des Direktors folgte ein kurzes Jazz-Intermezzo von der Saxophonistin Edith Lettner. Danach begann die Buchbesprechung mit einem Einleitungswort von Susanne Moser, gefolgt von den Analysen von Prof. Dr. Herta Nagl-Docekal, Prof. Dr. Yvanka B. Raynova und Prof. Dr. Peter Kampits.

Susanne Moser erläuterte zunächst, dass ihr persönliches Anliegen aus dem Interesse an der Frage welche Werte unserem Handeln zugrunde liegen geleitet gewesen sei. Dies hätte sie dann zu Simone de Beauvoir geführt, deren Werk ein Labyrinth von Fragen aufwerfe, die alle mehr oder weniger in dieser Problematik münden. Moser beschrieb die theoretische Vorgangsweise ihres Buches folgendermaßen. Zum ersten hätte sie eine Textauslegung von Beauvoirs Frühwerk bis zum Anderen Geschlecht vorgenommen, um diejenigen philosophischen Begriffe wie, Entwurf, Transzendenz, Existenz, Subjekt, Identität und Situation, die für das Verständnis des Anderen Geschlechts unerlässlich sind, einer detaillierten Klärung zu zuführen. Zum zweiten hätte sie versucht parallel dazu Beauvoir in einen größeren philosophischen Kontext zu stellen und die Spannungen aufzuzeigen, die sich daraus ergeben, dass Beauvoir verschiedene philosophische Ansätze, wie diejenigen von Hegel, Marx und Kant, einerseits, und Sartre, andererseits, zu verbinden versucht. Im Gegensatz zu den meisten Beauvoirforscherinnen der letzten Jahre wollte Moser den existentialistischen Zugang Beauvoirs hervorheben und hätte dann am Ende des Buches die These aufgestellt, dass Beauvoirs Philosophie als Drehpunkt zwischen Moderne und Postmoderne angesehen werden kann. „Ich hoffe“ – sagte zum Schluss die Autorin – „mit meinem Buch über Beauvoirs Philosophie zu einem besseren Verständnis der Hintergründe und Ursachen bestehender Konflikte hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses beitragen zu können. Ich möchte zeigen, dass wir es nicht mit einem Werteverfall zu tun haben, wie vielerorts behauptet wird, sondern dass es ganz im Gegenteil um die Einforderung und konkrete Realisierung von Werten geht: Freiheit und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten, sowie Anerkennung menschlicher Würde muss für jeden einzelnen Menschen gelten und nicht nur für einen Teil der Menschheit“.

Herta Nagl-Docekal begann ihre Ausführung mit der Feststellung: „Ein Buch, dass längst schon ein Desiderat war, liegt nun vor.“ Simone de Beauvoir als Philosophin zu lesen, dieses Vorhaben bestimme das eigentliche Vorhaben von Susanne Moser. Der Weg zu diesem Buch wäre, historisch gesehen, ziemlich lang und nicht schnurgerade verlaufen. Die Beauvoir-Rezeption im deutschsprachigen Raum, insbesondere der Verlag Rohwolt, der sich das Verdienst machte, hatte „kleine Anfänge“. Das andere Geschlecht erschien 1960 in Rohwolts Englische Enzyklopädie in einer sehr gekürzten Fassung. Erst 1986 folgte die vollständige Übersetzung. Aus den Verlagsnotizen zu der gekürzten Variante wurde klar, dass Beauvoir zunächst vor allem als Schriftstellerin wahrgenommen wurde. Herta Nagl las den folgenden Satz aus dem Vorwort vor: „Wir haben uns schweren Herzens entschlossen diese gekürzte Fassung vorzulegen. Angesichts des lebhaften Geistes und des großen schriftstellerischen Könnens der Autorin kann der Leser sicher sein, dass bei diesem Vorhaben nicht ein dünnes Skelett übriggeblieben ist. Simone de Beauvoir ist nicht nur Frau und Schriftstellerin, sie ist nicht nur geistvoll und kenntnisreich, sondern sie auch Französin“. So wurde nun begründet warum man eine kurze Fassung dieses Buches vorlegt. Sofern Beauvoir mit Philosophie in Zusammenhang gebracht wurde, so geschah dies in biographischer Perspektive – es wurde erklärt, Beauvoir sei Schülerin und Gefährtin Jean-Paul Sartres. Diese Art der Wahrnehmung beschränkte sich keineswegs auf den deutschsprachigen Raum, sondern galt auch für englischsprachigen, wo sie lange Zeit als „nothing more, then Sartres mouthpiece“ betrachtet worden.

Was genau heißt es nun Simone de Beauvoir als eine Philosophin zu lesen?

Susanne Mosers Buch macht deutlich, so Nagl-Docekal, dass es hier mehrere Fragerichtungen einzuschlagen gilt. Sie nannte "in Kütze" sieben solche Richtungen bzw. Frageperspektiven:

1.      Es gilt eine facettenreiche Auseinandersetzung zu rekonstruieren. Beauvoir befasst sich seit ihrer Studienzeit mit zahlreichen theoretischen Optionen aus der Philosophiegeschichte, wie die von Kant, Hegel, Husserl und Heidegger.

2.    Beauvoir nahm dabei keineswegs nur eine rezipierende Position ein, im Sinne von „mouthpiece“. Susanne Moser zeichnet vielmehr eine selbstständige Aneignung der rezipierten Konzeptionen nach, die Simone de Beauvoir zu einer eigenständigen, innovativen Theoriebildung führte. In das Zentrum rücken dabei die Begriffe Freiheit und Anerkennung, die den Titel von Mosers Buch bilden.

3.      Im Blick auf dieses innovative Potential Beauvoirs erscheint auch der Bezug zu Sartres Denken in neuem Licht. S. Moser arbeitet deutliche Abgrenzungen und Divergenzen heraus, so dass es forthin als unangemessen erscheint von einem Verhältnis Lehrer-Schülerin auszugehen.

4.    Mosers Auseinandersetzung mit diesem philosophischen Zuschnitt Beauvoirs erlaubt auch die literarische Werke Beauvoirs neu zu lesen. Diese Werke lassen sich nun als philosophische Untersuchungen in einem anderen sprachlichen Medium deuten.

5.    Die von Moser gewählte Methode eines close readings sowohl der theoretischen, als auch der literarischen Schriften Beauvoirs im Sinne eines Gesamtduktus des Denkens in verschiedenen Textsorten, lässt die darin vorliegende nuancenreiche Philosophie der Geschlechterverhältnisse erst vollends hervortreten. Damit kommt auch die Relevanz für die heutige Debatte zur feministischen Philosophie der erst völlig zutage. Moser zufolge ist das Werk Beauvoirs an einem sehr spannungsreichen Ort angesiedelt, nämlich „am Drehpunkt zwischen Moderne und Postmoderne“.

6.    Es geht hier aber um eine Relevanz in wechselseitiger Bedeutung: es werden nicht nur philosophische Konzeptionen eingesetzt um die vielfältigen Geschlechterasymmetrien zu analysieren, es wird damit auch die Philosophie insgesamt verändert. Weder eine philosophische Anthropologie, noch philosophische Konzeptionen von Gerechtigkeit können heute beanspruchen sich auf den neuesten Stand der Forschung zu bewegen, wenn zugleich die philosophischen Studien zur spezifischen Situierung von Frauen unberücksichtigt bleiben, wie Beauvoir sie vorgelegt und in vieler Hinsicht grundgelegt hat und wie sie in der Debatte der folgenden Jahrzehnte, insbesondere im Kontext der neuen Frauenbewegung, ihre weitere Entfaltung erfahren haben.

7.     Die von Moser gewählte Methode des close readings hat aber keinen hagiographischen Charakter. Gerade in dieser genauen Lektüre treten notwendigerweise Inkonsistenzen eines Werkes deutlich hervor. Anders gesagt, Simone de Beauvoir als Philosophin ernst zu nehmen, heißt auch sich mit ihrem Denken kritisch auseinander zu setzen. Feministische Philosophie ist nur dann Philosophie, wenn sie die eingehende Abwägung von Argumenten nicht scheut.

"In Hinblick auf diese sieben Punkte sagte ich zu Beginn, nicht bloß in einer höflichen façon de parler, ein Buch, dass längst ein Desiderat gewesen war, liegt nun vor" - betonte Herta Nagl-Docekal.  Anschliessend machte sie noch eine persönliche Bemerkung: "Susanne Moser bezieht sich in ihrem Buch durchaus zustimmend auf die Entscheidung Beauvoirs nicht den Begriff Glück, sondern der der Freiheit ins Zentrum ihrer Überlegungen zu einer alternativen Positionierung von Frauen in der Gesellschaft zu rücken. Dies geschah durchaus im Blick auf das Konfliktpotential, dass zwischen diesen Begriffen besteht. 'Glück ist ein Begriff, auf den wir uns nicht beziehen', zitiert Moser aus Simone de Beauvoir. Cornelia Klinger hat vor nicht zu langer zeit eine eingehende Studie der Frage gewidmet, warum das Glück aus der feministischen Theorie ausgeblendet bleibt. Dagegen möchte ich nun fragen, ob es nicht doch, zumindest Momente gibt, wo sich Glück und Freiheit verbinden lassen, z.B. wenn ein Buch wie dieses präsentiert wird und wenn gleich ein zweiter Band vorgelegt wird – Simone de Beauvoir: 50 Jahre nach dem Anderen Geschlecht (Institut für Axiologische Forschungen: Wien, 1999)".

 

Yvanka B. Raynova betonte, dass Freiheit und Anerkennung bei Simone de Beauvoir das erste Buch in der deutschsprachigen Fachliteratur ist, das ein Gesamtbild des philosophischen Werks Simone de Beauvoirs bietet. Das wirklich Neue, was das Buch von Susanne Moser auch in Hinsicht auf die internationale Beauvoir-Debatte auszeichnet, sei der explizit hermeneutisch-phänomenologische Zugang, welcher sie in die Nähe von Paul Ricœur bringt. Die Gesamtinterpretation, die Susanne Moser anstrebt, wird geliefert indem, einerseits, eine Klärung von Schlüsselbegriffen unternommen wird, die mit der Entwicklung der Hauptthemen Beauvoirs in Zusammenhang gebracht werden, andererseits, durch die Auslegung eines Schlüsselbegriffs auf mehreren Interpretationsstufen. Durch diesen methodologischen Zugang, den Ricœur „hermeneutischen Umweg“ nennt, weist Susanne Moser die Spannungen und Ambiguitäten in Beauvoirs Werk auf, die dieses nicht so eindeutig klassifizieren lassen, wie das bisher oft getan wurde. Es wäre also genauso falsch zu behaupten, Beauvoir hielte sich nur an die Phänomenologie und an der Existenzphilosophie, wie nur an Hegel und die Moderne. Genauso so falsch wäre es sie einfach als Gleichheitsfeministin oder, umgekehrt, als Differenzfeministin darzustellen, oder ihre Alternative durch die gängigen Oppositionen Essentialismus-Konstruktivismus, Biologismus-Kulturalismus usw. bestimmen zu wollen. Beauvoir geht sowohl in ihrem Existenzdenken, als auch in der Geschlechtertheorie von verschiedenen Ansätzen, wie Phänomenologie und Dialektik aus, die, wie Susanne Moser zeigt, nicht immer konsequent und konfliktlos zu verbinden sind. Dies führt anschließend die Autorin zu der Hauptthese, dass Beauvoirs Werk als Drehpunkt zwischen Moderne und Postmoderne verstanden werden kann und, dass man deren innewohnenden Konflikte nicht aufheben, sondern in Hinsicht auf aktuelle Probleme und Sichtweisen weiterdenken soll.

Peter Kampits erläuterte zu Beginn, er werde versuchen als Vertreter des „anderen Geschlechts“ einen männlichen Blick auf das Buch zu werfen. Man müsse Susanne Moser dankbar sein, dass sie Beauvoir aus jene Interpretation herausgeholt habe, die lange Zeit in ihr nur einen Anhängsel Sartres gesehen habe. Die Frage die ihn interessiere ist, inwiefern die Positionen Beauvoirs aus heutiger Sicht vertretbar sind. Es gibt im Existentialismus Standpunkte, die noch akzeptabel sind, aber auch solche, die die Patine der Vergangenheit tragen, wie z.B. die „Wendung zum Marxismus“ oder die Beziehung zum Anderen als auswegslosen Konflikt. In dieser Hinsicht spielt der Doppellbezug Freiheit-Anerkennung eine enorme Rolle. Beauvoirs Verdienst liege sowohl in ihrer Pionierarbeit zur feministischen Theorie, als auch in die Ausarbeitung der Verbindung zwischen Anerkennung und Gemeinsamkeit, die bei Sartre fehlt. Auch bezüglich der Fragen der Liebe und des Glücks sei Beauvoir weiter als Sartre gegangen. Der Beitrag von Susanne Moser sah Peter Kampits, ähnlich wie Herta Nagl-Docekal und Yvanka Raynova, in die präzise Textauslegung.